RUSSLAND AM SCHEIDEWEG

Seit 2017 leitet Yves Rossier die Schweizer Niederlassung in Moskau, eine der für die Schweiz weltweit wichtigsten Botschaften, in der gegenwärtig um die 80 Personen arbeiten. Vor den Mitgliedern von Fribourg International legte er in seiner Rede den Schwerpunkt auf die Multikulturalität, die Anfälligkeit des Machtgefüges und die Angst vor dem Chaos.

In seinem Vortrag lieferte Yves Rossier, der Schweizer Botschafter in Russland, einen ganz besonderen Einblick in das Land, das geographisch gesehen das grösste der Welt ist, das aber in Bezug auf die Bevölkerung mit seinen 150 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nur den 9. Rang belegt. Russland steht, was das BIP anbelangt, auf Platz 12 weltweit, aber nur auf Platz 55, was das Bruttoeinkommen pro Einwohner betrifft. Die öffentliche Verschuldung ist relativ bescheiden, und es herrscht (zur Zeit) Inflation. Exporte werden vor allem in den Bereichen Energie (65 %) sowie Bergbauprodukte und Metalle (15 %) getätigt.
Das Land ist 1990 auf die freie Marktwirtschaft umgeschwenkt, dabei wurden massiv Industrie- und Bergbauunternehmen privatisiert. Es befinden sich aber immer noch zwei Drittel der Wirtschaft in den Händen des Staates. Während das Land über ein gutes Ausbildungssystem verfügt und in einigen technischen Bereichen führend ist, fertigt es kaum Produkte, die in grosser Menge exportiert werden könnten.
Russland ist zudem seit längerer Zeit charakterisiert durch ein faktisch schwaches Machtgefüge und eine Gesellschaft, in der zwar diskutiert und auch Kritik angebracht wird, die aber kaum Auswirkungen auf die Machtinhaber zeitigt. Echte Reformen wurden schon länger nicht mehr durchgeführt, und die internationalen Sanktionen im Gefolge der neueren geopolitischen Probleme sind nicht gerade förderlich für ausländische Investitionen.

Ausgehend von diesen Feststellungen und dem Verlauf der Geschichte folgend stellte der Redner anschliessend verschiedene Lesarten und Perspektiven vor und baute seine Präsentation auf drei aus politischer, sozialer und wirtschaftlicher Sicht grundlegenden Elementen auf: Multikulturalität, Fragilität des Machtgefüges und Angst vor dem Chaos.

Es wurden weitere Überlegungen in den Vortrag einbezogen, etwa der fehlende Glaube an den Fortschritt, die mangelnde Thematisierung der Oligarchen in der Politik, das Fehlen von politischen «Helden», eine für Aussenstehende kaum sichtbare Korruption im Alltag, das gute Niveau der Bildung ganz allgemein und weitere Punkte.